Maja Hehlen
“Es ist einfach Tanz”
Maja Hehlen ist DanceAbility Master Lehrerin, Psychologin und Heilpädagogin. Im Jahr 2000 gründete sie das Ensemble BewegGrund Trier und ist seither dessen künstlerische Leiterin. Maja bietet zudem regelmäßig DanceAbility Kurse, Workshops und Weiterbildungen an. Im Interview teilt sie ihre langjährige Erfahrung im Tanz für Alle und warum es ein wichtiger Eckpfeiler in der Arbeit des Ensembles ist, dass jede Rolle von jede*r Person getanzt werden kann.
Interview: Sabrina Huth
Illustration: Xueh Magrini Troll
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Wie ist es dazu gekommen, dass Tanz und Inklusion eine so bedeutende Rolle in deinem Leben einnehmen?

Tanz war mir immer schon wichtig - schon als Kind. Ich habe verschiedenste Tanzkurse genommen - längere Zeit Ballett, aber auch Jazztanz, Modern Dance usw. - und dies auch immer weitergeführt. Eine Tanzausbildung im klassischen Sinn habe ich aber nie gemacht. In meinem Heilpädagogik Studium - ich habe zuerst Heilpädagogik und dann Psychologie studiert - hab ich mich besonders für Inklusion interessiert. Rückblickend würde ich sagen, dieses Interesse kam von der Uni Freiburg in der Schweiz. Anfangs der 1990er Jahre wurde dort sehr viel über Inklusion an Schulen geforscht: “Schule für Alle” als Konzept. In der Schweiz war dieses Konzept damals aber erst in der Diskussion und noch gar nicht umgesetzt. Dadurch beeinflusst - aber vermutlich auch durch meine Art - hat mich interessiert, wie man alle in einen Prozess mit einbeziehen kann; erstmal ganz grundsätzlich und unabhängig vom Tanz. Leute auszuschließen konnte ich noch nie haben, schon als Kind nicht. Da habe ich immer geguckt, dass wir diejenigen mit dazu kriegen, die ausgeschlossen werden. Durch die internationalen Berner Tanztage habe ich Alito Alessi und DanceAbility kennengelernt. Diese Schnittstelle und Kombination von dem, was mich von Herzen interessiert, kombiniert mit Tanz fand ich damals - und bis heute - total spannend. Ich wusste: “Da ist mein Herz! Das ist, was mich eigentlich interessiert!” Das war im Jahre 1995.

Und wie ging es dann weiter? Was waren weitere wichtige Momente in deiner Tanzbiografie?

Im Jahr darauf habe ich die erste angebotene DanceAbility Weiterbildung bei Alito Alessi in Eugene, Oregon gemacht. Anschließend hatte ich das Glück mehrere Assistenzen mit Alito Alessi zu machen, in Zypern und auch bei den Berner Tanztagen. Da wurde in 1997 ein großes Projekt mit Aufführungen durchgeführt, um inklusiven Tanz möglichst breitenwirksam bekannt zu machen. Dabei sind wir gemeinsam - auch mit Steve Paxton und Emery Blackwell - durch die Schweiz gereist; bis hoch aufs Jungfraujoch! Damals hatte dies eine große Medienaufmerksamkeit. Auch die Begegnung mit Steve Paxton in dieser Zeit fand ich sehr spannend. Seine Haltung zu Tanz und eben auch zu DanceAbility war sehr unterstützend. Ich bin also über verschiedene Personen zu DanceAbility gekommen. Durch DanceAbility und auch durch meinen Beruf als Pädagogin und Psychologin konnte ich diese Interessen für mich verbinden und dadurch auch Workshops und später Weiterbildungen anbieten. Es war für mich eine Lösung, wie ich inklusiv arbeiten kann; auf einfache und wunderbar schöne künstlerische Art und Weise sozusagen.


Im Kontext von Behinderung/Nicht-Behinderung werden viele unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Was verstehst du persönlich denn darunter inklusiv zu arbeiten?

Anfang der 90er Jahre sprach man von Heilpädagogik und integrativen Tanz - und das heißt es ja zum Teil immer noch. Der Begriff “Inklusion” kam erst Ende der 1990er Jahre auf oder im neuen Jahrtausend - wenn ich das richtig im Blick habe. Ich persönlich hab mich damit arrangiert, dass ich verschiedene Begrifflichkeiten immer nur als ein Werkzeug betrachte, die etwas nicht hinreichend aber ein bisschen versuchen zu beschreiben. Etwas, das man eigentlich nicht beschreiben müssen sollte. Es ist einfach Tanz. Die Frage ist: Warum muss ich jetzt etwas beschreiben und für wen und wie? Für mich sind bestimmte Begrifflichkeiten immer Brücken für etwas; damit andere besser verstehen, was man tut. Und diese Brücken als Wörter verändern sich über den Lauf der Zeit. Ich bin mir sicher das Wort Inklusion wird sich auch überleben und wieder verändern. Es gilt jetzt im Moment. Diese Entwicklungen in der Sprache sind sehr wichtig, da sie immer kulturell und gesellschaftsbezogen sind. Aber sie werden und müssen sich immer verändern. Das ist meine Erfahrung über die vergangenen dreißig Jahre. Deshalb geht es mir persönlich weniger ums Wort selbst. Wichtiger für mich ist der Inhalt dieser Wörter: Was man tut und wie man es tut. Wenn ich jetzt “Inklusion” verwende, dann, weil es am ehesten beschreibt, was wir tun.

Und wie würdest du das beschreiben?

Im Ensemble BewegGrund Trier versuchen wir Zugänge für alle zu ermöglichen, um in einen gemeinsamen künstlerischen Prozess auf Augenhöhe zu kommen. Das ist das, was ich unter meiner Art verstehe, Tanzprojekte zu entwickeln. Zudem bin ich stets damit beschäftigt, wie ich dies noch besser hinkriege. Es ist nie perfekt. Wie können wir die inneren Strukturen bei uns im Ensemble weiterentwickeln, weil sich ja auch das Ensemble weiterentwickelt? Wie können wir diese überdenken, reflektieren und verfeinern, damit sie noch mehr alle auf Augenhöhe ansprechen im künstlerischen und tänzerischen Kontext?

Du hast bereits das Ensemble BewegGrund Trier erwähnt. Hast du Lust ein wenig zu erzählen, wie es dazu gekommen ist?

Die ersten Anfänge in Trier waren im Jahre 2000. Den Name haben wir in den nachfolgenden Jahren dann gemeinsam entwickelt. Den Teil “BewegGrund” hab ich aus der Schweiz mitgebracht. Dort habe ich 1997 gemeinsam mit Susanne Schneider nach dem Event bei den Berner Tanztagen begonnen, regelmäßig einen Kurs anzubieten; erst alle vierzehn Tage für einen Abend, später dann wöchentlich. Im folgenden Jahr haben wir im Anschluss an eine erste Aufführung einen Verein gegründet. Wir haben uns entschieden einen deutschsprachigen Namen zu suchen. Ich habe viel überlegt, welchen Namen man in der deutschen Ausdrucksweise nehmen könnte, der mit “Grund” und “bewegen” zu tun hat und dann fande ich “BewegGrund” einfach schlüssig. Wir konnten genug Leute begeistern und im Mai 1998 letztlich den Verein “BewegGrund” gründen. Danach bin ich eine zeitlang nach Amerika gegangen und dann eben nach Trier. In Trier wollte ich meine Tanzarbeit weiterführen und vor allem ausbauen, da es diese Art von Tanzarbeit in Trier noch nicht gab. Wir haben dann vereinbart, dass ich den Namen “BewegGrund” weiter nutzen und nach Trier mitnehmen kann. Deswegen tragen wir nun beide - in der Schweiz und in Trier - den Namen. Unser Ensemble heißt “Ensemble BewegGrund Trier” und der Verein dazu heißt “DanceAbility”. Seit 2007 hat sich dann vor allem die Performance Arbeit auf der Bühne, also mit abendfüllenden Stücken und Videos, herausgebildet.

Es ist dir ein großes Anliegen in einem ständigen gemeinsamen Prozess und auf Augenhöhe mit den Ensemble Mitgliedern zu sein. Gleichzeitig bist du - wenn ich das richtig verstanden habe - die künstlerische Leitung des Ensembles. Wie schaut das Erarbeiten von Stücken mit diesem Hintergrund bei euch im Ensemble aus?

Am Anfang unseres mittlerweile schon zwanzigjährigen Prozesses in Trier habe ich die Entscheidung für mich getroffen, dass das Ensemble offen für alle ist. Es gibt keine Auditions. Das war von Anfang an ein Grundpfeiler für mich. Dadurch habe ich den Prozess vor meine Ideen gestellt. Es wäre vielleicht einfacher ein Projekt zu machen, in dem man gemeinsam mit ein paar ausgewählten Leuten ein Stück macht. Manchmal würde mich das auch reizen. Aber da fehlt für mich ein Stück Inklusion, weil ich dabei manche ausschließen müsste und das wollte ich nicht. Vor allem, da ich niemanden ausschließen wollte, der zum Beispiel noch nicht bereit ist zu reisen oder neunzig Minuten lang auf der Bühne die Aufmerksamkeit zu halten. Deshalb habe ich gesagt: “Ich schaue wer kommt und mit diesen Menschen gehe ich gemeinsam in den künstlerischen Prozess.” Dieser Anspruch bleibt bis heute und hat zur Folge, dass manche Leute schon so lange dabei sind, wie es das Ensemble gibt. Dadurch, dass ein Projekt eben nicht nach vier Wochen oder fünf Monaten wieder vorbei ist, ist diese große Kontinuität entstanden. Das Ensemble BewegGrund Trier ist ein Ensemble, das stetig in sich Bestand hat. Und alle, die regelmäßig ins Training kommen, sind gleichwertige Ensemblemitglieder; egal ob man zwanzig Jahre Erfahrung hat oder gerade erst ein paar Monate dabei ist. Diese Offenheit ist ein wichtiger Grundpfeiler unserer Arbeit. Aktuell stellt sich immer mehr die Frage: “Wie können wir den Zugang zum Ensemble gestalten, sodass er sichtbar für die Außenwelt ist? Wie kriegt man die Information überhaupt, dass man bei uns mitmachen kann?” Wenn wir in der Phase der Fertigstellung eines Stückes sind, dann können für ein paar Monate auch mal keine neuen Leute dazu kommen. Aber grundsätzlich ist dies immer möglich. Man muss natürlich in der Region Trier wohnen und selbstständig in die Tuchfabrik kommen können. Das sind zwei Bedingungen, die auch manche ausschließen.

Wie kam es zur Entscheidung in den Räumlichkeiten der Tuchfabrik zu proben?

Die Tuchfabrik ist ein Kulturzentrum für die freie Szene in Trier. Wir wollten unsere Arbeit da verorten, wo eben Kunstschaffen im Allgemeinen stattfindet und nicht in einer Institution für Menschen mit Behinderung. Manche sind dadurch auch wiederum eingeschränkt, da sie eben nicht die Unterstützung haben, um leicht in die Tufa zu kommen. Da sind wir dann gefragt um zu schauen, wie unterstützen wir jemanden, der sich interessiert, aber nicht den Weg machen kann. Jetzt haben wir zum Beispiel einen Bus was hilfreich ist. Diese organisatorischen Sachen sind unglaublich wichtig, um inklusive Kunst schaffen oder Kunst, die allen offen steht.

Einen Rahmen zu schaffen hat vermutlich auch viel damit zu tun, schrittweise Barrieren abzubauen, die das gemeinsame künstlerische Arbeiten sonst gar nicht erst möglich machen.

Ja genau! Alito Alessi sagt einmal: "If you work out the practicalities you have the art." Auf Englisch klingt das prägnant. Aber das ist wirklich wahr und bezieht sich auf den künstlerischen Prozess und die Prozesse zuvor.

Kannst du ein Beispiel dafür nennen?

Wir drehen zum Beispiel stets einen Film zu den Tanzstücken. In 2021 hatten wir einen Filmdreh draußen in Trier geplant und es gab Covid. Es gab also bestimmte Bedingungen, unter denen wir überhaupt filmen konnten: Kleingruppen draußen mit Abstand. Bei den geplanten Filmaufnahmen hat es dann geregnet und wir hatten auch nur eine begrenzte Zeitspanne zum Filmen zur Verfügung. Gleichzeitig war eine Frau mit Autismus-Spektrum dabei, die darauf vorbereitet war zu filmen. Jemand anderes wiederum war an diesem Tag krank. Und wieder andere durften nicht raus, weil sie noch nicht geimpft waren. Dann hat man all diese Faktoren und muss schauen: “Was ist da und was mach ich jetzt? Wie nutze ich die Faktoren, dass ich danach ein Tanzstück habe?” Und da beginnt die Kunst schon. Welche Entscheidungen sind wichtig, dass möglichst viel Kunst rauskommt?

Und was habt ihr letztendlich gemacht?

Ich konnte den Filmdreh nicht absagen wegen der Frau, die sich darauf vorbereitet hat. Hätte ich es abgesagt, wäre es umso aufwendiger gewesen, sich wieder darauf einzustellen. Also habe ich das Stück und die Filmaufnahmen dementsprechend verändert, dass es möglich war zu filmen und die anderen, die dann nicht im Film waren, trotzdem mit einbezogen werden konnten. Die Herausforderung war: “Wie kann ich zwei Personen in einem Vierer Stück mit einbeziehen, die nicht im Film sind? Der Film ist ja ein wesentlicher Teil des Tanzstückes auf der Bühne. Wie kann ich sie trotzdem gleichwertig in ein Tanzstück mit einbeziehen? Wenn die Elemente klar sind, entsteht daraus eben der künstlerische Prozess.

Und die Improvisation in und mit den Rahmenbedingungen füttert ja auch wieder einen künstlerischen Prozess...

Genau! Und das ist im Vergleich zu gängigen Tanzkompanien an Theatern eine andere Vorgehensweise. Da muss man da sein oder man ist nicht dabei. Es ist einfach anders. Die inklusive Zugangsweise find ich künstlerisch allerdings viel spannender. Das eigene Ego muss sich im künstlerisch-inklusiven Prozess hinten anstellen. Ich kann nicht mit meinen Ideen vorhergehen. Das ist unwichtig. Man muss frei und flexibel bleiben und schauen, was ist möglich und von da aus wieder offen sein.

Du hast mir schon früher mal davon erzählt, dass bei euren Aufführungen jede Rolle von jeder Person getanzt werden kann. Magst du ein wenig näher ausführen, wie es dazu kam und wie ihr das umsetzt?

Bei einem Auftritt in Luxemburg wurde ein Tänzer krank, welcher eine Hauptrolle in diesem Stück hatte. Anne Cherel übernahm spontan die Rolle. Der ursprüngliche Tänzer ist fast zwei Meter groß und stattlich und Anne nutzt den Rollstuhl und ist einfach kleiner von ihrer Größe her. Anne kannte ja aber die Art und Weise, wie die Rolle getanzt wurde. Durch das Prinzip der Interpretation konnte sie die Rolle tanzen. Sie musste das Solo aus der Erinnerung abschöpfen, hat dann versucht es möglichst zu erfassen und in ihre eigene Körpersprache zu übersetzen. Das war wunderbar! Das ist jetzt ein Beispiel, wo dieses Prinzip entstanden ist und wir es dann definiert haben. Etwas, was natürlich öfters geschieht in der Kunst. Aber für uns war es wichtig es festzuhalten und als Faktor zu benennen. Dadurch befreien wir uns davon, wer da ist oder da sein kann. Gerade im zeitgenössischen Tanz sind die Rollen ja auch oft durch die Persönlichkeiten beschrieben; und im inklusiven Tanz umso mehr. Uns davon zu befreien und zu sagen: “Jeder kann jede Rolle tanzen und sie interpretieren, nicht imitieren” war ein wichtiger Schritt.

Das ist ja einfach auch ein spannendes künstlerisches Prinzip und erinnert mich an Alito Alessis Zitat, dass die Kunst entsteht wenn das Organisatorische geklärt ist.

Wichtig dabei ist, wenn man die Rolle tanzt, an die andere Person zu denken und es gleichzeitig dabei sich zu eigen zu machen, aber eben in der inneren Beziehung zu dieser Person. Das finde ich das Spannende daran. Nicht nur in Beziehung zur Rolle zu gehen, sondern auch zur Person, die die Rolle definiert hat.

Und dadurch wird auch wiederum eine Form der Inklusion weitergetragen. Insofern, dass Personen, die physisch nicht präsent sein können oder wollen, Sichtbarkeit auf der Bühne erhalten, indem die Rolle, die sie entwickelt haben, von einer anderen Person interpretiert wird.

Insofern würde ich zum Beispiel gerne mal Tanzstücke mit etablierten Tanzkompanien austauschen. Das fände ich total spannend, wenn sie unsere Tanzstücke tanzen würden und wir ihre.

Welchen Herausforderungen begegnet ihr denn bei euch im Ensemble? Und welche Methoden und Strategien habt ihr entwickelt damit umzugehen?

Der eigentliche künstlerische Prozess gestaltet sich aufgrund der Methodik von DanceAbility - die wir ja zugrunde legen – meist einfach. Es sind mehr die Dinge ringsherum, die die Arbeit herausfordernd machen. Oft haben wir zu wenig Zeit oder sind finanziell begrenzt. Wären wir diesbezüglich breiter aufgestellt, würde das manches sicher einfacher machen. Inhaltlich stellt sich aktuell die Frage “Wie wird jede und jeder wirklich gehört?”. Wir erarbeiten unser aktuelles Stück zum Beispiel in Kleingruppen. Jede Kleingruppe, angeleitet von einer Regisseurin, entwickelt dabei selbstständig ein Kurzstück, welche wiederum zusammen ein abendfüllendes Stück ergeben. Dadurch werden alle mehr gehört. Wie kann man nun aber auch Menschen in Leitungspositionen nehmen, die nicht die Möglichkeit haben sich diesbezüglich weiterzubilden, weil sie nicht die benötigte Aufmerksamkeit haben oder die Ausbildung kognitiv nicht entsprechend verarbeiten können, sodass sie ihnen was bringt. Wie können sie durch ihre Erfahrungen Prozesse anleiten?” Meistens sind aber - wie schon gesagt - die Faktoren ringsherum die Herausforderung; bis wir alle die Möglichkeit haben da zu sein, also in einem Raum zu sein und gemeinsam zu proben. Wenn es schneit ist es zum Beispiel für manche unüberwindbar in die Tuchfabrik zu kommen. Deshalb sind wir zum Teil auch froh über das digitale Format, das das Proben zum Teil vereinfacht hat; wobei andere Sachen im digitalen Raum wieder fehlen. Auch die Doppelbelastung von Arbeit und noch genügend Energie und Zeit für den Tanz zu haben ist oft herausfordernd. Viele können nicht Teilzeit arbeiten. Aber gerade in Werkstätten für Menschen mit Behinderung wäre dies wichtig.


Hast du das Gefühl, dass eure Arbeit im Ensemble als professionelle Tätigkeit gesehen wird?

Unsere Stücke werden als professionelle Tanzstücke gesehen. Die einzelnen Ensemblemitglieder werden allerdings oft nicht als professionell Tanzende gesehen. Nicht alle. In meiner Tätigkeit als künstlerische Leitung werde ich schon so gesehen, aber die Ensemblemitglieder, die zum Tanzen kommen und keine andere Funktion haben, werden vom Umfeld oft nicht so gesehen. Schön wäre, wenn wir für einen Teil der Gruppe es irgendwann hinkriegen würden, dass sie mindestens einen Tag für die Tanzkunst zur Verfügung hätten. Das würde schon einen großen Unterschied machen.

Das wirft natürlich die Frage auf, was strukturell verändert werden muss um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und daran gekoppelt ist die Sichtbarkeit und öffentliche Wahrnehmung von inklusiver Tanzkunst und inwiefern diese als professionell anerkannt wird. Ein wichtiger Beitrag hierzu ist vermutlich, dass ihr in Tuchfabrik verankert seid und eure Stücke im Kontext der freien Tanzszene in Trier gezeigt werden. Wie siehst du das?

Es gibt natürlich auch die Möglichkeit zu fragen: “Was ist professionell?” Das kann man ja auf verschiedene Arten definieren. Wir haben eine hohe Qualität Tanzkunst zu schaffen, die allen zugänglich ist. Da haben wir die Expertise - egal ob man das als professionell definiert oder nicht.

Ich merke, dass ich in meinem Sprachgebrauch "Professionalität" auch wieder als einen Hilfsbegriff verwende um dadurch eine Kategorie oder Trennlinie zu schaffen, die im besten Fall überhaupt nicht nötig ist.

Der Begriff „Professionalität“ ist zumindest ein hilfreiches ein Konstrukt, um besser sichtbar zu sein.

Im Endeffekt geht es ja darum Menschen, die auf der Bühne sind und Tanzkunst schaffen, auch diese Möglichkeit zu geben. Und dies hängt unter anderen von finanziellen Ressourcen ab. In diesem Kontext habe ich den Eindruck, dass der Begriff “Professionalität” hilfreich sein kann.

Die meisten aus unserem Ensemble haben gar keinen Zugang zu gängigen professionellen Tanzausbildungen, da sie gar nicht erst zugelassen werden. Das heißt aber nicht, dass sie keine Tänzer sein können. Deshalb befreie ich mich auch gerne von dem Begriff und fokussiere mich auf das, was möglich ist und versuche dies möglichst gut zu tun und mich dabei immer wieder selbst zu hinterfragen.

Diversität im Tanz bedeutet für mich…
Vielfarbig - bunt
Allyship bedeutet für mich…
Ressource für Gemeinschaft. Expertise für gemeinsame Prozesse
Zusammenarbeit bedeutet für mich…
“Excitement” im Sinne von bereichernd. Wie ein gemeinsamer Sprung ins Wasser und es spritzt alle nass. Man weiß aber manchmal auch nicht, wo und wie man landet. Aber das ist eben auch gerade das Erfrischende daran.
Behinderung bedeutet für mich…
Hinderungen der Gesellschaft. Die Hürde, die Menschen hindert an der Gesellschaft teilzuhaben und dadurch behindert werden.
Nicht-Behinderung bedeutet für mich…
Das ist eigentlich eine Beschreibung von etwas, das es gar nicht gibt. Das Wort macht eigentlich keinen Sinn für mich. Alle haben eine potentielle Behinderung, oder auch unsichtbare. Also wenn ich sage, ich bin sogenannt “behindert” oder “nicht-behindert” ist es immer nur in Bezug auf den Moment. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob es stimmt. Natürlich gibt es Unterschiede und ich will dadurch nicht Menschen mit Behinderung diskreditieren. Aber ich habe immer die Notwendigkeit mich damit auseinanderzusetzen auch für mich persönlich. Ich kann mich nicht rausnehmen, weil es mich irgendwann auf jeden Fall auch betreffen wird. Alle irgendwann. Nicht-Behinderung ist ein komisches Konstrukt; Behinderung auch.