Elisabeth Löffler
"Wir waren unsere Zeit voraus"
Elisabeth Löffler lebt und arbeitet seit 20 Jahren als Künstlerin mit Behinderung im Tanz- und Performancebereich, sowie als Lebens- und Sexualberaterin in Wien. Sie ist Mitbegründerin von LizArt Productions. Ihre Karriere hat sie als Gründungsmitglied der mixed-abled Tanzgruppe Bilderwerfer begonnen, mit der sie zahlreiche nationale und internationale Auftritte hatte. Im Interview spricht Elisabeth über Humor als eines der wichtigsten Mittel um zu überleben, aber auch ernste Sachen anzusprechen, und warum sie schon lange nicht mehr über den Zugang von Künstlerinnen mit Behinderung zu staatlich-anerkannten Ausbildungsstätten diskutieren möchte.
Interview: Sabrina Huth
Illustration: Xueh Magrini Troll
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Beim Sprechen über Behinderung gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Begriffen. Wie bezeichnest du dich denn selbst?

Diese Frage wird oft als erste Frage gestellt. Ich persönlich sehe mich als Mensch, Frau, Mutter, Performancekünstlerin mit Behinderung - je nachdem in welchem Kontext ich mich gerade aufhalte. Das Hauptwort beschreibt mich dabei als Person und der Zusatz “mit Behinderung” beschreibt mich noch ein wenig näher. “Behinderte” als Hauptwort verwende ich eigentlich nie. Im face-to-face Kontakt sieht man mich und dann hab ich einen Namen. Da bin ich die Elisabeth. Oder ich hab eine Funktion: Ich bin Mutter, Tänzerin, Künstlerin, Performerin etc..

Warum wird die Frage nach der Selbstbezeichnung deiner Meinung nach so oft zu Beginn eines Interviews gestellt?

Vermutlich wegen den gesellschaftspolitischen Themen dahinter: die Angst, wirklich in Kontakt zu gehen. Man will sich vorher absichern, alles richtig zu machen. In unserer queeren, linken, weißen Blase wollen wir ja niemanden verletzen. Also fragt man vorher: “Was darf ich sagen um dich nicht zu kränken?” Das ist kein Vorwurf. In Kontakt gehen heißt ja auch immer sich auf Augenhöhe zu begeben und zu sagen: “Ich weiß das nicht über dich.” Ich gebe mir sozusagen die Blöße und frage: “Kannst du mir aus der Patsche helfen?”

Du arbeitest seit zwei Jahrzehnten national und international als Schauspielerin, Tänzerin, Performerin usw. Wie bist du zum Tanz und zur Performancekunst gekommen und wie hast du die Ausbildungsmöglichkeiten auf diesem Weg erlebt?

Ich bin sozusagen eine weiße Österreicherin, die im Jahre 1969 geboren ist. Mein Jahrgang ist insofern wichtig, als dass es die Ausbildung im klassischen Sinn, die du ansprichst, in Österreich damals nicht gab und de facto bis heute nicht gibt. Im Tanzbereich sind wir ja noch immer im 17. Jahrhundert. Das mein ich im Ernst - zumindest im Sinne des schönen, aufgerichteten Körpers des Royal Ballett, des königlichen Balletts. Daher kommt, dass der perfekte Körper tanzt. Der perfekte Körper, der sich in Selbstbeherrschung übt und alles aus sich rausholt, was möglich ist. Ich hatte keinen Zugang zu einer klassischen Tanzausbildung. Ich kann mich erinnern, dass ich als Jugendliche in meiner Berufsberatung gesagt habe, dass ich Sängerin oder Schauspielerin werden möchte. Tänzerin selbst wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich hab auch nie Role Models gesehen und daher gedacht: “Es ist viel möglich, aber Tanz geht nicht.” Die Berufsberaterin antwortete: “Das ist eh alles nett, aber fang erstmal mit der Handelsschule an.” Die Berufsperspektive als Mensch mit Behinderung bestand für viele in meiner Generation darin, wenn du es halbwegs schaffst in die Handelsschule zu gehen und später im Büro zu arbeiten.

Und wie bist du letztlich doch zum Tanz und zur Performancekunst gekommen?

Daniel Aschwanden - ein Freund von mir, der Tänzer und Choreograf ist - hat Mitte der 1990er Jahre Christian Polster entdeckt; einen Kollegen mit Downsyndrom, der gerne zu Michael Jackson getanzt hat. Als er gemeinsam mit Christian nach Köln zu einem einwöchigen DanceAbility Workshop von Alito Alessi gefahren ist, hat er mich gefragt, ob ich sie begleiten möchte. So hab ich meinen ersten Tanzworkshop gemacht. Das war für mich die Erleuchtung und Erlösung. Ich hab zum ersten Mal meinen Körper nicht als Defizit erlebt, sondern als Körper, der sich rollt, bewegt und improvisiert. Ich war total high und wollte nichts mehr anderes machen. Damals war ich 26 Jahre alt.

Deine ersten Berührungspunkte zum Tanz waren also über die Tanzmethode DanceAbility …

Ja genau! DanceAbility war ein guter Anfang für mich und eine tolle Körpererfahrung. Alito Alessi, der Begründer von DanceAbility, versteht sich wahnsinnig gut darin, den größten gemeinsamen Nenner der Gruppe zu finden; alle miteinzubeziehen, die da sind. Das ist eine wichtige Ressource sowohl für behinderte, als auch für nicht-behinderte Tänzerinnen und Tänzer. Mir persönlich war DanceAbility aber ein bisschen zu brav und betulich. Es war mir zu wenig wild und mit zu wenig Konfrontation; zu wenig Kampf im positivsten Sinne. Zurück in Wien, hab ich versucht im damaligen T Junction - heute Tanzquartier - an Tanzkursen teilzunehmen; vor allem Kontakt Improvisation. Das hat mich viel mehr angesprochen. In der Kontakt Improvisation kann man sich entscheiden in oder aus dem Kontaktpunkt zu rollen oder zu lehnen und es gibt das Prinzip der “Counterbalance”, des Gegengewichts, das sehr wichtig für mich ist.

Du hast erwähnt, dass du “versucht” hast an Tanzklassen teilzunehmen. Wie zugänglich waren diese denn Mitte/Ende der 1990er Jahre für Tänzer*innen mit Behinderung?

Damals war ich noch jung und ein wenig kampfbereiter. Also bin ich in Unterstützung von Daniel Aschwanden zu vielen Tanzklassen gegangen und hab gesagt: “Ich will in dem Kurs mitmachen.” Daraufhin kam tatsächlich oft als Antwort: “Du drückst das Niveau. Wir sind ein richtiger Tanzkurs und kein Sozialprojekt.” Mein Lieblingsbeispiel dazu ist Andrew Harwood. Dieser hat mich zweimal aus seinen Kontakt Improvisationsklassen in New York “rausgeschmissen”. Er hat gesagt: “Nein, das geht nicht! Du drückst das Niveau und demotivierst die anderen Tänzer und Tänzerinnen.” Also habe ich geantwortet: “Okay, dann sitze ich jetzt hier und warte bis der Kurs aus ist. Und ich komme wieder.” Als er später in Österreich unterrichtet hat, war ich wieder da und hab ihn vor versammelter Klasse gefragt: “Darf ich jetzt mitmachen?” Daraufhin antwortete er, er müsse erst die anderen Schüler und Schülerinnen fragen. Mir ins Gesicht zu sagen, dass ich nicht mitmachen darf, hat sich natürlich niemand getraut. Also hab ich teilgenommen. Mittlerweile sind Andrew und ich die besten Freunde. Wir haben uns aneinander abgekämpft und er lässt mich und auch andere Tänzer mit Behinderung an seinen Klassen teilnehmen. Dan Kampf tut er sich nicht mehr an! (lacht) Rückblickend war meine Ausbildung hauptsächlich über einzelne Workshops in Wien im damaligen T-Junction, später auch in Deutschland, England und Amerika. Ich habe viel Body-Mind-Centering und Feldenkrais praktiziert. Das ist heute oberhip; ich habe es aber schon immer als meine Art zu Turnen gemacht. Dadurch bin ich sehr körperbewusst geworden. Ich kenne den Geherkörper besser, als die Geherkörper meinen Körper kennen. Das ist natürlich klar: Die weniger privilegierten Körper müssen diejenigen Körper kennen, die mehr Macht haben. Mit den Bilderwerfern waren wir mit Unterstützung von Daniel Aschwanden zum Beispiel auch als Gastschülerinnen in Amsterdam. Was ich damit sagen will ist: Du brauchst Allies! Verbündete, die dich in institutionelle Strukturen reinbringen, weil sie cool finden, was du machst.

Fällt dir ein positives Beispiel für die Teilnahme an Tanzklassen ein?

Ich hab beim ImpulsTanz Festival in Wien Ballettunterricht bei der Französin Mathilde Monnier genommen. Es war keine Sekunde eine Frage, ob ich mitmache oder nicht. Sie hat eine große Offenheit und hat mich in der Pause sogar noch extra unterrichtet. Beim Schauen hat sie gesehen, was ich noch brauchen könnte um mich als Tänzerin weiterzuentwickeln und mich darin unterstützt. Ich werde mein Bein natürlich nicht bis zur Decke schwingen, aber das Alignment im Ballett hilft mir weiter.

Die Offenheit zu schauen, welche Prinzipien gibt es im Ballett und anderen Tanzdisziplinen und wie kann jeder individuelle Körper diese Prinzipien für die eigene Entwicklung nutzen, scheint mir total wichtig …

… und hilft die Lehrer zu entspannen. Ich werde keine Primaballerina in dem Sinne, aber ich mach in meinen Performances immer ein wenig Ballett.

Du hast vorhin schon die Bilderwerfer erwähnt - eine Mixed-Abled Tanz- und Performancegruppe in Österreich, von der du eines der Gründungsmitglieder warst. Möchtest du ein wenig mehr darüber erzählen?

In Österreich waren wir in den 1990er Jahren die erste Performancegruppe, in der Menschen mit und ohne Behinderung auf einer professionellen Ebene gemeinsam performt haben. Zu dieser Zeit hieß das noch integrativ; heute würde man es mixed-abled oder inklusiv nennen. Professionell hieß in unserem Fall auch, dass wir alle von nichts anderem gelebt haben. Für mich war damals klar, dass ich nur dann Tanz mache, wenn ich auch angestellt und bezahlt werde. Ich wusste, ich würde mich viel verletzen. Wir waren unserer Zeit wahnsinnig voraus. Wir waren ein bisschen wie Aliens. Erstmal haben wir viel an sogenannten Behinderten Festivals gespielt. Aber das wollten wir eigentlich nie. Ein Grundsatz unserer künstlerischen Arbeit war immer: Wir machen hier keine Therapie.

Wie hat das Publikum damals auf euch reagiert?

Oft wurde unsere Arbeit nicht ernst genommen und wir wurden mit Aussagen konfrontiert, wie zum Beispiel: “Es ist eh schon ganz liab und besser als nichts, was ihr da macht, aber richtig tanzen ist das nicht.” Es fielen unterschiedliche Diskriminierungsmomente zusammen: die Diskriminierung als Frau, die Diskriminierung als Künstlerin etc..

Wie würdest du eure Zusammenarbeit bei den Bilderwerfern beschreiben? Gab es Herausforderungen?

Sehr anstrengend war für uns damals, dass es noch keine persönliche Assistenz gab. Das heißt, die nicht-behinderten Performer mussten uns assistieren. Das war natürlich für die Machtverhältnisse und die Zusammenarbeit schwierig; für uns alle. Wenn wir beispielsweise in einer Stadt auf Tour waren, die nicht barrierefrei ist, konntest du als behinderte Person alles mitmachen, was die Geher wollen, oder in den Konflikt gehen und eventuell im Hotelzimmer bleiben. Mit der persönlichen Assistenz hat sich das sehr verändert. Gleichzeitig waren wir Tänzerinnen mit Behinderung auf der Bühne die “Besonderen” und haben durch unsere Präsenz und unsere Körper viel mediale Aufmerksamkeit bekommen. Meine behinderte Kollegin und ich scherzten immer: “Erst wenn alle neidisch auf uns sind, wissen wir, dass wir es geschafft haben. Dann sind wir Konkurrenz.” Und das haben wir als etwas Positives betrachtet. Die Akzeptanz In der Konkurrenz sozusagen. Was Anderes ist mir natürlich lieber. Oft waren wir eine Art “Sprungbrett” für die nicht-behinderten Tänzerinnen, zumindest aus Sicht der behinderten Tänzerinnen. Wurden sie bekannter oder etablierter, haben sie uns oft verlassen und sind ihren Solokarrieren nachgegangen. Für uns behinderte Performerinnen gab es diese Möglichkeit jedoch meist nicht. Dieses Thema haben wir bei den Bilderwerfern super reflektiert. Wir sind noch immer befreundet oder gut bekannt, auch nach Auflösung der Bilderwerfer.

Du bist ja schon seit langer Zeit in der Tanz- und Performanceszene in Österreich aktiv. Inwiefern hat sich deiner Meinung nach der Zugang zu staatlich-anerkannten Ausbildungsstätten und Institutionen in den letzten Jahren verändert? Anders gefragt: Wo stehen wir heute? Und was braucht es noch?

Früher war ich so naiv, dass ich gesagt habe: Gerechtigkeit! Heute sage ich und in diesem Sinne bin ich radikaler geworden: Ich diskutiere über dieses Thema nicht mehr. Es gibt Ausbildungen und die Menschen, die teilnehmen möchten, haben dies zu dürfen! Die Lehrenden müssen sich dementsprechend überlegen, wie sie das bereitstellen oder sich eingestehen, dass sie keine Ahnung haben. In letzterem Fall müssen sie Menschen mit sogenannten Behinderungen in ihr Lehrerinnen- und Leitungsteam aufnehmen und nachfragen. Man sollte sozusagen gar nicht mehr fragen: “Soll man oder soll man nicht? Und wie kann das gehen?” Sondern sagen: “Wir machen das und lernen dabei, wie es gehen kann.” Dabei ist es wichtig, den Mut zu haben Fehler zu machen. Das sag ich immer wieder und hab ich eigentlich aus der Psychotherapie: “Aus Fehlern wird man klug. Darum ist einer nicht genug.” Und ist es wirklich ein Fehler oder nur eine improvisatorische Nebenschiene? (lacht). Da halt ich's mit Miles Davis. Wie gesagt, ich hab einen sehr pragmatischen Zugang zu diesem Thema. Ich finde jede Form der Ausbildung sollte zugänglich sein und dann liegt es in der Verantwortung der Lehrenden und der Schule damit umzugehen. Und damit umgehen kann auch heißen: Wir haben keine Lösung. Wir wissen es nicht. Umgehen heißt ja nicht: Wir wissen alles. Wir haben es gelöst. Umgehen heißt: Ich ignoriere es nicht. Ich sehe es als Fakt an. Die Angst, dass plötzlich alle behinderten Menschen Tänzer werden wollen und die Kunstschulen überschwemmen, ist völlig unbegründet. Und der Aussage: Wir drücken das Niveau, widerspreche ich hundertprozentig. Es ist eine Erweiterung für alle. Wir verwenden oft das Wort “inklusiv”, weil wir es noch nicht sind. Und wenn wir es wären, müssten wir nicht dauernd darüber sprechen. Solange wir es noch nicht sind, müssen wir allerdings darüber sprechen. Das müssen wir uns bewusst machen. Wir sagen ja auch nicht, jemand ist behindert, weil er eine Brille trägt. Aber in Wirklichkeit ist es eine Behinderung, die wir gelernt haben mit coolen Brillen zu kaschieren. Manche tragen sogar Brillen, obwohl sie gut sehen. Das ist am Ende des Tages doch witzig und da soll es hingehen. Es gibt verschiedene Körper, die verschiedene Dinge können und andere nicht. That's it! Aber es ist immer Tanz. Du bewegst dich. Du sprichst mit deinem Körper. Du drückst dich aus. Du gehst in Kontakt. Ballett wird es nicht werden. Aber es will nicht jeder Ballett lernen, der Tänzer werden will. Der Tanz ist meine Art, Spaß zu leben und wie ich mich am liebsten ausdrücke. Aber auch eine Möglichkeit, Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Ich kann ihn aufladen mit allen Möglichen und gleichzeitig sagen: “Ich will es einfach machen. Ich find es das Geilste auf der Welt.” Dafür reiß ich mir den Arsch auf - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hab mir sehr viele Verletzungen beim Tanzen hinzugezogen; so wie viele andere Tänzer auch.

Nach zehn Jahren mit den Bilderwerfern hast du im Jahre 2006 gemeinsam mit deiner Kollegin Cornelia Scheuer LizArt Productions gegründet - einen der ersten Kunstvereine, der von behinderten Künstlerinnen gegründet und selbst verwaltet wird. Wie kam es dazu und was sind deine Erfahrungen damit?

Der Name LizArt Production kommt mitunter vom Englischen “Lizard”, die Eidechse. Das hat mir gut gefallen, da ich viel am Boden “herumwuzzle”. Am Anfang von LizArt Production wurden wir kaum engagiert oder nur über unsere Behinderung. Daraufhin haben wir Adam Benjamin um Rat gefragt, der damals am Fachbereich Performance und Theater an der Plymouth University unterrichtete. Er hat gesagt: “Zahlt die Choreografen!” Das war ein handfestes, knallhartes Argument: “Schafft die Kohle an und zahlt die Leute, die mit euch Stücke machen. Oder ihr habt selber Ideen und braucht einen Regisseur.” Das war das Beste was uns passieren konnte! Conny und ich haben uns daraufhin Yosi Wanunu hinzugeholt, der mittlerweile ein bekannter Regisseur in Wien ist. Die Grundhaltung war klar: Er macht seine Stücke und wir engagieren ihn als Regisseur. Dass wir behindert sind, damit muss er dealen, aber das war nie das Hauptthema. Unsere Behinderung war natürlich schon immer als Thema präsent. Du kannst mit Birnen nur Birnensalat machen und keinen Apfel.

Eure Entscheidung einen Choreografen/Regisseur zu engagieren hat vermutlich auch noch einmal eine Klarheit geschaffen, dass es sich um professionelles Kunstschaffen handelt. Wie habt ihr dies finanziert?

Ein Argument war für uns immer, dass wir nie Geld vom Sozialfonds beantragen. Da musst du strukturell denken. Verkürzt gesagt kriegst du natürlich schnell 3000€, weil du behindert bist. Aber wir wollen nicht 3000€, weil wir behindert sind. Sondern wir wollen 30000€, weil wir ein Stück produzieren und uns und unser Team bezahlen wollen - wenigstens ein bisschen. Wir sind wahnsinnig zäh und gute Performer - würd ich jetzt mal behaupten. Der Bonus, dass wir eine Behinderung haben, funktioniert vielleicht die ersten Male. Aber irgendwann musst du ein Stück produzieren, dass Content hat und sexy ist, am Puls der Zeit oder dich so sehr interessiert, dass du alle überzeugen kannst. Am Anfang wurde uns rückgemeldet, dass wir erfolgreich sind, weil wir behindert sind und die Leute dies nicht gewohnt sind auf der Bühne zu sehen. Ich glaube, an diesem Argument ist sogar etwas dran. Die Leute können endlich mal schauen, ohne das jemand sagt: Das darfst du nicht. Früher bin ich immer angeschaut worden und jetzt werd ich wenigstens dafür bezahlt. Für mich ist Humor eines der wichtigsten Mittel um zu überleben; aber auch um ernste Themen rüber zu bringen.

So wie in deinem letzten Stück “Fix me if you can”?

Das Stück habe ich gemeinsam mit Yosi Wanunu gemacht, den ich jetzt schon seit 15 Jahren kenne. Für mich ist Theater noch immer Familie und Liebe. Ganz altmodisch. Ich arbeite nur mit Leuten die ich von Herzen mag. Es interessiert mich überhaupt nicht irgendwas Geiles auf die Beine zu stellen nur damit es dasteht. Ich bin keine gute Projektarbeiterin. Ich leide dabei wie ein Hund. Ich brauch lange Beziehungen und dann kommen gute Sachen raus. Der Yosi kennt mich gut und nur so konnte dieses Stück entstehen. Das hat all diese Jahre gebraucht. Ich hätte dieses Stück nie mit 25 oder 26 zu Beginn meiner Karriere machen können.

Wo wir schon von Zusammenarbeit sprechen. Magst du noch weiter ausführen, wie diese gelingen kann und was es dazu braucht?

Was es auf struktureller Ebene wirklich braucht, damit keine Abhängigkeit besteht, ist die persönliche Assistenz - für Menschen ohne Behinderung auch. Der Yosi hat eine sehr gute Produktionsleiterin. Ohne die wäre er verloren. (lacht) Es braucht entsprechende Rahmenbedingungen: barrierefreie Proberäume, barrierefreie Bühnen, barrierefreie Garderoben usw.. Wirklich “Basics”, die wir nicht haben. Wie oft ich mich schon in irgendeinem Werkzeugkammerl umgezogen habe, weil es kein Rolli-Klo gegeben hat! Dann bräuchte es - nicht nur für Menschen mit Behinderung - die sozialrechtliche Absicherung und ein Grundeinkommen. Es können ja schon nicht-behinderte Künstlerinnen und Künstler kaum von ihrer Arbeit leben. Diese haben alle möglichen Nebenjobs. Ich kann aber nicht kellnern. Daher gibt es so wenig behinderte Performerinnen; ich persönlich kenne keine behinderte Künstlerin, die ausschließlich von ihrer Kunst leben kann. Und natürlich braucht es - wie schon erwähnt - den Zugang zu Ausbildungsstätten. Wenn man diesen nie hatte, glaubt man dauernd etwas versäumt zu haben. Es muss mir aber möglich sein, mich dafür oder dagegen zu entscheiden. Auf der persönlichen Ebene brauche ich Menschen, die ich auf vielen Ebenen mag. Mit einer Person zusammenzuarbeiten, die ich schlicht und ergreifend nicht mag, interessiert mich überhaupt nicht. Diese kann auch noch so berühmt sein. Ich hab lieber eine 4-Jahres-Förderung als kurze Produktionsförderungen - nicht nur wegen des Geldes. Das erlaubt mir in Ruhe und Kontinuität konzeptionell zu arbeiten. Aber das gilt vermutlich für alle Künstlerinnen. Speziell ist, dass wir Menschen mit Behinderung ein anderes Time-Framing haben, einen anderen Umgang mit Zeit. In den Proben haben wir zum Beispiel immer gesagt: “Braucht ihr euer Disabled-Timing?” Wenn jemand sagt, du hast fünf Minuten Pause, dann kann ich ruhig sitzen bleiben und warten bis fünf Minuten vorbei sind. Das ist genau nichts. Du musst Probezeiten anders legen. Da haut es uns schnell aus dem neoliberalen System heraus. Dieses andere Timing ist jedoch nicht nur unser persönliches Problem, sondern ein gesellschaftliches Problem.

Das wirkt sich wahrscheinlich auch unmittelbar auf Förderanträge aus. Wenn Probezeiten zum Beispiel anders veranschlagt werden, weil ein anderes Timing erforderlich ist, erhöht sich eventuell die beantragte Fördersumme - was wiederum ein Ausschlusskriterium sein kann, wenn die Produktion mehr kostet als eine vergleichbar große andere Produktion.

Wir sind nach wie vor sehr angepasst um im Spiel der Kunst mitspielen zu dürfen. Es gibt kaum härtere Arbeitsbereich als den Kunst- und Sozialbereich. Das ist überhaupt kein Schutzraum. Null. Dieser Arbeitsbereich ist noch härter und sagt gleichzeitig viel über unsere Gesellschaft aus. Ich bin immer für persönliche Assistenz. Damit einher geht aber auch: Ich darf nur mitspielen, wenn ich persönliche Assistenz habe; wenn ich mein vermeintliches Defizit mit persönlicher Assistenz ausgleiche. Anstatt zu sagen: Wir brauchen alle mehr Zeit für alles. Und dabei denke ich an die Feldenkrais Methode. Da liegt man stundenlang herum. Das ist so aber nicht wahr. Nach einer Woche Feldenkrais kann ich wieder frei stehen. Und dazu braucht es diese ganze Woche.

Der Mut zur Langsamkeit steht - wie du schon erwähnt hast - im Widerspruch zu einem Kunstmarkt, der mit seinen kurzen Projektförderungen der neoliberalen Logik komplett unterworfen ist. Unter diesen Bedingungen ist es - in meiner Erfahrung - schwierig, auf zwischenmenschlicher Ebene wirklich in Kontakt zu gehen, sich miteinander auseinanderzusetzen auch wenn es mal kracht und Konflikte gibt, und dann wieder weiterzuarbeiten. Da resoniere ich stark mit der Aussage, dass es ein anderes Verständnis von Zeitlichkeit braucht, welches mehr Kontinuität erlaubt.

Vor zwei Jahren hab ich einen Workshop in Berlin gehalten. Der Titel dazu hieß: "Time is a fairytale to keep you busy". Was ich aber noch erwähnen wollte ist, dass ich bei einer Anfrage immer sage: “Das koste ich und das kostet meine Assistenz.” Ich denke das automatisch mit; was mich früher manchmal aus dem System geschmissen hat, aber jetzt nicht mehr. Auch weil es eine Crip Community gibt, die dafür kämpft. Ebenso wie dafür, dass wir nicht immer irgendwo reinwollen, sondern auch eigene Räume wie das NO LIMITS Festival Berlin schaffen. Da war ich eingeladen am Symposium einen Workshop zu halten. Bei diesem Festival war das Crip-Timing zum Beispiel wirklich gelebt. Alle teilnehmenden Personen hatten die Zeit zur Verfügung, die sie brauchen. Man konnte zum Beispiel beim Anschauen von Performances liegen oder es gab längere Pausen. Es ist also möglich und man kann daraus Kunst machen.

Und die Ästhetik des Zugangs kann von Anfang an beim Kunstschaffen mitgedacht werden, anstatt ein Stück zu machen und danach zu schauen, wie es irgendwie noch zugänglich sein kann. Wie gehst du persönlich mit dem Thema Accessibility um?

Das muss jeder Künstler und jede Künstlerin für sich entscheiden. Bezüglich der Frage, wie accessible will ich sein und wieviel muss ich eventuell von dem loslassen, was ich ursprünglich machen wollte, gibt es verschiedene Ebenen. Ich sag jetzt mal was ganz politisch inkorrektes. Wie sehr will ich meine Kunst machen und mich nichts scheißen, dass ich damit Leute ausschließe? Wie viel Ausschluss halt ich aus? Vor allem wenn man selbst behindert ist. Für mich persönlich ist das ganz schwierig. Das mach ich nicht. Ich finde es aber auch ein politisches Statement zu sagen: “Ich will mich nicht drum scheißen. Warum muss ich immer die Gute sein?” Das wäre mal ein interessantes Stück. Aber soweit bin ich noch lang nicht, weil ich so sehr um Accessibility kämpfe und mich in dem Bereich verorte. Deswegen frage ich mich: “Muss ich als Künstlerin immer auf der richtigen Seite stehen? Kann ich den Mut haben mich das zu fragen und dann entscheiden?” Das ist jetzt keine Frage von dir …

...und super spannend. Schwingt dabei die Erwartung mit sich als Künstlerin mit Behinderung automatisch zu positionieren und für mehr Accessibility einzusetzen?

Wo ist die Freiheit ein Arschloch zu sein? (lacht) Meine oder deine dunkle Seite beschäftigt mich. Was gibt es da noch? Als wir den Verein LizArt Productions gegründet haben, haben wir in den Statuten aufgenommen nirgends zu spielen, wo es nicht barrierefrei zugänglich ist. Damit legst du dir selber ein Ei. Plötzlich hatten wir keine Räume mehr, weil es in Wien keine - oder nur wenige - gibt. Deswegen wurde mein letztes Stück “Fix me if you can” in einer Bar aufgeführt. Ich spiele nicht so gern im Theater. Das ist mir oft ein wenig zu langweilig. Ich wollte lieber in einer schummrigen Bar spielen. Da bin ich nah bei den Leuten. Für dieses Stück hab ich unbedingt eine Barriere gebraucht, weil es damit beginnt, dass mich jemand auf meinen Platz setzt. Die Barriere war also nicht das Problem, sondern die Lösung. Einmal bin ich an einen barrierefreien Ort gekommen und wir haben auf einmal eine künstliche Barriere gebraucht. Das ist doch wahnsinnig witzig! (lacht) Es geht um die Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheit. Hab ich die Wahl oder kann ich sowieso nicht rein? Das ist der springende Punkt.

Diversität im Tanz bedeutet für mich … Ich kann mit meinem Ausdruck dabei sein.
Allyship bedeutet für mich ... Ich bin nicht allein, ich hab Verbündete, wir schaffen das gemeinsam!
Zusammenarbeit bedeutet für mich ... Gemeinsam etwas neues kreieren.
Barrierefreiheit bedeutet für mich ... Ich kann dabei sein ohne zusätzliche Anstrengung.
Behinderung bedeutet für mich ... Ich kann nicht dabei sein.
Nicht-Behinderung bedeutet für mich … Anstrengen.